Die aktuellen Ereignisse in Frankreich sind für uns alle verstörend. Gewalt, Elend und Leid sind immerwährende Begleiter in der Welt und in unseren Leben, auch wenn sie nicht auf uns persönlich bezogen sind. Meist gelingt es, sie auszublenden oder in einen nebeligen Schleier zu hüllen. Wir schauen auf das Positive und müssen nicht an der Welt und ihren schlimmen Ereignissen verzweifeln.

Aktuell will das aber gar nicht gut gelingen. Der Anschlag auf Charlie Hebdo in Frankreich geht Kalligrafinnen und Kalligrafen sehr nahe. Auch hier trifft es nicht uns eigentlich nicht direkt und persönlich. Aber eben doch nur eigentlich. Kalligrafen sind eine „eigene Spezies“. Wenn wir aber die Kreativen als große Familie sehen, sind die Zeichner sehr nahe Verwandte. Vielleicht im Status wie Geschwister. Für mich erklärt sich so die direkte Betroffenheit. Die freie Meinungsäußerung wurde attackiert, und ohne freie Meinungsäußerung ist auch Kalligrafie nicht möglich. Als Kalligrafin muss ich mich ausdrücken dürfen, Schranken erlege ich mir nur selber auf, da wo ich es für angebracht halte. Ich muss mich nicht fremden Ansichten beugen, das ist mein Recht als Künstlerin und dieses Recht wird mir durch Demokratie und Grundgesetz zugesichert.

Wenn nun Angehörige einer so nahestehenden Zunft wie die der Zeichner einfach weggesprengt werden, dann ist es gefühlt etwas, das in meiner unmittelbaren Umgebung geschieht. Auch wenn Satirebleistift extrem spitz ist und der Bleistift der Kalligrafie dagegen stumpf und rund anmutet. Texte und Inhalte der meisten Kalligrafien sind meist wenig kämpferisch und wenn, dann stammen sie aus einem vergangenen Jahrhundert: ihre Urheber sind nicht nur längst aus den Gefängnissen entlassen, sondern auch tot und begraben. Mehr noch, die meisten Kalligrafen und Kalligrafinnen haben es sich nicht zur Aufgabe gemacht, gegen das Unrecht und Elend der Welt anzuschreiben. Vielmehr versuchen sie den Fokus ihrer Arbeit auf vielfältige Aspekte des Lebens zu lenken. Freude und Harmonie stehen nicht selten im Zentrum ihres Schaffens.

Sehr oft ist unsere westliche Kalligrafie auch religiös motiviert. Im Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg schrieben die führenden Kalligrafen meist religiöse Texte oder auch Bibeltexte (denken wir nur an Rudolf Koch). Davor hatte die Handschrift eine lange Tradition in den Klöstern. Nichtsdestotrotz war und ist Schrift immer Kommunikationsmittel und somit auch Machtmittel.
Vor einigen Jahren habe ich obenstehende kalligrafische Bilder auf Leinwand geschrieben. Der Text ist eine Erzählung von Rainer Maria Rilke (1893), Feder und Schwert. Ich füge ihn hier auf diesem blogpost ein, damit ihr ihn ganz lesen könnt. (Das lohnt sich!). In Kürze: Es streiten sich eine Stahlfeder und ein Schwert, wer wohl der stärkere sei. Am Ende ist es die Feder, weil mit ihr ein Friedensvertrag unterzeichnet wird. Das Schwert ist nutzlos.
Ich weiss, das ist nun so richtig gar keine Parallele zu den aktuellen Ereignissen. Es zeigt die andere Seite der Medallie. Meilenweit von der jetzigen Realität entfernt. „Alles wird gut“ ist keine Option mehr für die Opfer des Anschlags. Die Kämpfer, deren Waffen Feder und Bleistift sind, haben diese Schlacht, die keine ist, verloren. Die Sonne ist untergegangen.
Die ausgesäten Samen des Hasses dürfen keine Früchte tragen, sie dürfen sich nicht in unserer demokatischen Gesellschaft ausbreiten!
Je suis Charlie. Nous sommes Charlie.
Feder und Schwert
Ein Dialog
In der Ecke eines Zimmers stand ein Schwert. Die helle, stählerne Fläche seiner Klinge erglänzte, vom Strahle der Sonne berührt, in rötlichem Scheine. Stolz hielt das Schwert Umschau im Zimmer; es sah, daß alles sich an seinem Glasten weidete. Alles? - Nicht doch! Dort auf dem Tische lag, müßig an ein Tintenfaß gelehnt, eine Feder, der es nicht im mindesten einfiel sich vor der glitzernden Majestät jener Waffe zu beugen. - Das ergrimmte das Schwert und es begann also zu sprechen: »Wer bist du wohl, nichtswürdig Ding, daß du nicht gleich den andern vor meinem Glanz dich beugst und ihn bewunderst? Sieh nur um dich!
Alle Geräte stehen ehrfurchtsvoll in tiefes Dunkel gehüllt. Mich allein, mich hat die helle beglückende Sonne zu ihrem Liebling erkoren; sie belebt mich mit ihrem wonnigen Flammenkusse, und ich lohne ihrs, indem ich ihr Licht tausendfach widerstrahle. Mächtigen Fürsten nur ziemt es, in leuchtendem Gewande daherzuschreiten. Die Sonne kennt meine Macht, darum legt sie mir den königlichen Purpur ihrer Strahlen um die Schultern.«
Lächelnd erwiderte drauf die besonnene Feder:
»Sieh doch, wie eitel und stolz du bist und wie du dich brüstest mit dem erborgten Glanze! Sind wir doch beide - besinne dich - ganz nahe Verwandte. Beide hat uns die sorgende Erde geboren, beide sind wir im Urzustand vielleicht im selben Gebirge neben einander gestanden Jahrtausende lang; bis der Menschen geschäftiger Fleiß die Ader des nützlichen Erzes, deren Bestandteile wir waren, entdeckte.
Beide nahm man uns weg; beide sollten wir, ungefüge Kinder der rauhen Natur noch, über der Hitze der dampfenden Esse, unter des Hammers mächtigen Schlägen zu nützlichen Gliedern des irdischen Treibens umgeschaffen werden. Und so auch geschah es. Du wurdest ein Schwert - bekamst eine große und feste Spitze; ich, eine Feder, wurde mit einer dünnen, zierlichen bedacht. Sollen wir wirklich schaffen und wirken, müssen wir uns erst die glänzende Spitze benetzen. Du mit dem Blute, ich - nur mit - Tinte!«
»Diese Rede, in gelehrtem Stile gehalten«, fiel nun das Schwert ein, »macht mich lachen fürwahr. Ist es doch grade, als wollte die Maus, das kleine nichtige Tierchen, ihre nahe Verwandtschaft mit dem Elefanten beweisen. Die spräche dann so wie du! Denn auch sie hat gleich dem Elefanten vier Beine und hat sich sogar eines Rüssels zu rühmen. So könnte man glauben, sie seien zum wenigsten Vettern!
Du hast, liebe Feder, sehr schlau und berechnend jetzt das nur genannt, worin ich dir gleiche. Ich aber will dir erzählen, was uns unterscheidet. Ich, das glänzende, stolze Schwert, werde um die Hüfte geschnallt von einem kühnen, edlen Ritter; dich aber dich steckt ein altes Schreiberlein hinter sein langes Eselsohr. Mich erfaßt mein Herr mit kräftiger Hand und trägt mich in die Reihen der Feinde; ich führe ihn hindurch. Dich, beste Feder, führt dein Magister mit zitternder Hand über vergilbtes Pergament.
Ich wüte furchtbar unter den Feinden, springe mutig, tollkühn bald her, bald hin; du kratzest in ewiger Monotonie über dein Pergament hin und wagst dich nicht ein Stückchen aus jenen Bahnen, die dir die führende Hand vorsichtig weist. Und endlich, endlich - geht meine Kraft zu Ende, werde ich alt und schwach, dann ehrt man mich, wie es Helden geziemt, stellt mich im Ahnensaale zur Schau und bewundert mich. Was aber geschieht mit dir?
Ist dein Herr mit dir unzufrieden, wirst du alt und beginnst du mit dicken Strichen über das Papier hinzukreuchen, packt er dich, entreißt dich dem Stiele, der dir Stütze war, und wirft dich weg, wenn er nicht Gnade übt und dich mit ein paar deiner Schwestern um wenige Kreuzer einem Trödler verkauft.«
»Du magst ja in mancher Beziehung«, versetzte die Feder sehr ernst, »so unrecht nicht haben. Daß man mich oft gering schätzt, ist ja wahr, ebenso wie, daß man mich, nachdem ich unbrauchbar geworden bin, sehr übel behandelt. Doch deswegen ist die Macht, die mir zu Gebote steht, solange ich arbeiten kann, keine geringe. Es kommt ja nur auf eine Wette an!«
»Du wolltest mir eine Wette anbieten?« lachte das übermütige Schwert.
»Wofern du wagst, dieselbe anzunehmen.«
»Und ob ich sie annehme«, versetzte das Schwert, das sich noch immer nicht vom Lachen erholen konnte. »Was gilt die Wette?«
Die Feder aber setzte sich zurecht, nahm eine strenge Amtsmiene an und begann:
»Wir wollen wetten, daß ich imstande bin, dich zu hindern, deiner Arbeit, dem Kampfe, nachzugehen, wenn ich will!«
»Ho, ho, das klingt ja kühn.«
»Bist du's zufrieden?«
»Ich gehe darauf ein.«
»Nun wohl«, sagte die Feder, »laß uns sehen.«
Es waren wenige Minuten seit dem Abschlusse dieser Wette vergangen, als ein junger Mann in reichem Waffenkleide eintrat, das Schwert faßte und sich dasselbe anlegte. Hierauf betrachtete er wohlgefällig die blanke Klinge. Von draußen erschallte heller Trompetenruf, Trommelwirbel - es ging zur Schlacht. Eben wollte der junge Mann das Zimmer verlassen, als ein anderer, der eine hohe Stelle bekleiden mußte, wie man aus seinem reichen Schmucke ersah, eintrat. Der junge verneigte sich tief vor ihm. Der Würdenträger war indessen an den Tisch getreten, hatte die Feder erfaßt und eilends etwas hingeschrieben. »Der Friedensvertrag ist schon unterzeichnet«, sagte er lächelnd. Der Jüngere stellte sein Schwert wieder in die Ecke, und beide verließen das Zimmer.
Auf dem Tische aber lag die Feder. Der Sonnenstrahl spielte mit ihr, und ihr feuchtes Erz glitzerte hell.
»Ziehst du nicht zum Kampfe, mein liebes Schwert« fragte sie lächelnd.
Das Schwert aber stand still in der finsteren Ecke. Ich glaube, es prahlte nie wieder.